Mobil bleiben. für viele ältere Menschen bedeutet das vor allem: Selbstständig bleiben. Doch in Pflegeheimen ist Bewegung oft Mangelware. Zu groß die Einschränkungen, zu knapp die Zeit des Personals, zu hoch die Sorge vor Stürzen. Dabei zeigen aktuelle Studien: Bewegung ist nicht nur möglich, sondern entscheidend für Lebensqualität, Selbstständigkeit und psychisches Wohlbefinden - selbst bei Bewohnerinnen und Bewohnern mit starker Pflegebedürftigkeit.
Bewegung ist mehr als Fitness: Sie ist Lebensqualität
Wer denkt, Training sei nur etwas für junge, gesunde Menschen, liegt falsch. In Wirklichkeit profitieren gerade hochaltrige und mehrfach erkrankte Menschen am meisten von gezielter Bewegung. Denn schon kleine Aktivitätseinheiten haben große Effekte: Bessere Muskelkraft, mehr Gleichgewicht, weniger Stürze - und ganz nebenbei auch weniger Einsamkeit.
Eine große randomisierte Studie im Rahmen des PROCARE-Projekts zeigte, dass ein gezieltes Gruppenprogramm mit Kraft-, Gleichgewichts- und kognitiv-motorischen Übungen nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit von Pflegeheimbewohnern deutlich verbessern konnte, unabhängig vom Alter oder der Vorerkrankung (Cordes et al., 2019).
Sitzen und trotzdem trainieren? Ja, das funktioniert
Viele Bewohnerinnen und Bewohner können nicht mehr sicher gehen oder stehen und genau hier setzen sogenannte Chair-Based Exercises an. Also Trainingsprogramme, die vollständig im Sitzen stattfinden. Studien zeigen, dass auch rein sitzende Programme Muskelkraft, Beweglichkeit und sogar die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern können und dabei absolut sicher sind.
Ein systematisches Review von Cordes et al. (2020) belegt, dass Sitztrainings besonders dann wirken, wenn sie mehrere Bereiche gleichzeitig fördern: Kraft, Beweglichkeit und Koordination. Selbst Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht mehr gehfähig sind, profitierten messbar von diesen Programmen.
Wenn Orientierung verloren geht hilft Bewegung auch dem Kopf
Bewegung fördert nicht nur Muskeln, sondern auch das Gehirn. Vor allem dann, wenn Training gezielt mit Denkaufgaben kombiniert wird. Das zeigen Studien aus dem PROfit-Projekt: In diesen Trainings wurden neben Kraft und Balance auch räumliche Orientierung und Denkaufgaben geübt - mit positiven Effekten auf Mobilität und kognitive Fähigkeiten (Wollesen et al., 2020).
Wer sich sicherer orientieren kann, bewegt sich freier innerhalb durch das Pflegeheim. Und das bedeutet am Ende mehr Teilhabe und weniger Rückzug.
Bewegung muss nicht teuer sein, aber sie braucht Struktur
Nicht jede Einrichtung hat die Mittel für externe Trainer. Aber Bewegung muss nicht teuer sein. Auch Programme mit geschulten Pflegekräften oder ehrenamtlichen Unterstützern wirken: Wie etwa in der POWER-Studie, in der freiwillige Spaziergänge mit Bewohnern begleiteten. Die Teilnehmenden berichteten nicht nur über mehr körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch über mehr Freude, Nähe und Antrieb im Alltag (Weissbach et al., 2023).
Der Schlüssel ist die Regelmäßigkeit. Zwei kurze Trainingseinheiten pro Woche reichen oft schon aus, um messbare Effekte zu erzielen. Wichtig ist, dass Bewegung nicht als Ausnahme gedacht wird, sondern als fester Teil des Pflegealltags.
Fazit: Wer Bewegung möglich macht, gibt Lebensfreude zurück
Bewegung ist im Pflegeheim kein Zusatzangebot. Sie ist Teil guter Pflege. Sie fördert Mobilität, schützt vor Stürzen, verbessert die kognitive Leistungsfähigkeit und stärkt das Selbstwertgefühl. Und: Sie bringt Menschen zusammen.
Ob im Sitzen, beim Spaziergang oder in Gruppen: Jede Einrichtung kann Strukturen schaffen, um Bewegung zu fördern. Die wissenschaftlichen Belege sind eindeutig. Was jetzt noch fehlt, ist der Mut zur Umsetzung.
Quellen:
Cordes, T. et al. (2019). A multicomponent exercise intervention to improve physical functioning, cognition and psychosocial well-being in elderly nursing home residents. BMC Geriatrics. https://doi.org/10.1186/s12877-019-1386-6
Cordes, T. et al. (2020). Chair-Based Exercise Interventions for Nursing Home Residents. Journal of the American Medical Directors Association. https://doi.org/10.1016/j.jamda.2020.09.042
Cordes, T. et al. (2021). Multicomponent chair-based exercise to improve cognition and well-being for non-ambulatory residents. Experimental Gerontology. https://doi.org/10.1016/j.exger.2021.111484
Weissbach, S. et al. (2023). Experiences of participants of a volunteer-supported walking intervention. BMC Geriatrics. https://doi.org/10.1186/s12877-023-04044-4
Wollesen, B. et al. (2020). A three-armed cognitive-motor exercise intervention in nursing homes: PROfit Project. BMC Geriatrics. https://doi.org/10.1186/s12877-020-01840-0