Pflegeheime sind längst mehr als nur Versorgungsorte. Sie sind Lebensräume. Doch was erwarten die Menschen, die dort leben? Welche Bedürfnisse haben sie wirklich? Und wie können Betreiber von Pflegeeinrichtungen diesen gerecht werden?
Eine aktuelle Scoping-Review-Studie von Schweighart et al. (2022) hat genau diese Fragen untersucht und liefert Erkenntnisse, die Pflegeheime und ihre Betreiber nicht ignorieren sollten.
Personenzentrierte Pflege als Schlüssel
Studien zeigen: Je mehr eine Pflegeeinrichtung auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner eingeht, desto höher ist die Zufriedenheit und die wahrgenommene Lebensqualität. Dabei geht es nicht nur um medizinische Versorgung, sondern um ein umfassendes Konzept der personenzentrierten Pflege.
Das klingt erst einmal nach einem Buzzword, aber es hat einen konkreten Kern:
Pflegeheime, die sich auf die individuellen Lebensrealitäten ihrer Bewohner einlassen, schaffen einen Rahmen, in dem sich Menschen wohl und respektiert fühlen.
Das bedeutet für Betreiber: Wer sich um Qualität bemüht, muss nicht nur Prozesse und Strukturen optimieren, sondern vor allem verstehen, was Menschen in dieser Lebensphase wirklich bewegt.
Die zwölf zentralen Bedürfnisse und was sie für die Praxis bedeuten
Die Scoping-Review von Schweighart et al. (2022) hat aus 51 internationalen Studien zwölf Kategorien von Bedürfnissen identifiziert. Diese geben einen faszinierenden Einblick und zeigen, wie vielfältig und persönlich der Alltag von Pflegeheimbewohnern ist.
Hier die wichtigsten Kategorien im Überblick:
Aktivitäten, Freizeit, Tagesstruktur
Bewohner wünschen sich mehr als reine Versorgung. Eine sinnvolle Tagesgestaltung, Freizeitangebote und die Möglichkeit, sich selbst einzubringen, stehen ganz oben auf der Wunschliste.
→ Für Betreiber heißt das: Angebote müssen nicht perfekt sein, aber echt. Tagesstruktur sollte mehr sein als der nächste Termin im Speiseplan.Autonomie und Selbstbestimmung
So viel wie möglich selbst entscheiden. Das bleibt auch im hohen Alter ein Grundbedürfnis.
→ Bewohner aktiv einbeziehen, Mitbestimmung ermöglichen und Eigenverantwortung fördern.Sterben, Tod, Lebensende
Offene Gespräche über das Lebensende und Begleitung in dieser Phase werden oft vermisst.
→ Palliative Konzepte gehören in jede Einrichtung, nicht nur für “den Notfall”.Finanzielle Sicherheit und Transparenz
Auch im Heim bleibt die Frage nach den eigenen Finanzen präsent.
→ Ehrliche Kommunikation über Kosten, Transparenz und faire Beratung stärken das Vertrauen.Umgebung, Raumgestaltung und Essen
Wohnlichkeit und gutes Essen beeinflussen das Wohlbefinden enorm.
→ Räume nicht nur funktional, sondern einladend gestalten. Und das Essen als Erlebnis begreifen.Gesundheitszustand
Bewohner wollen ernst genommen werden, nicht nur als “Pflegefälle”.
→ Kommunikation auf Augenhöhe, regelmäßige Gespräche und echte Zuwendung helfen.Medikation und Pflege
Bewohner wünschen sich nachvollziehbare, sichere und verständliche Pflegeprozesse.
→ Medikamentengabe transparent machen, Hygiene und Pflegeprozesse erklären.Soziale Kontakte und Gemeinschaft
Einsamkeit ist einer der größten Risikofaktoren für die psychische Gesundheit.
→ Gemeinschaftsräume, Besuchskonzepte und soziale Angebote bewusst fördern.Privatsphäre
So banal es klingt: Rückzugsorte und Respekt vor dem Privatleben werden oft unterschätzt.
→ Persönliche Bereiche respektieren, auch wenn Pflege notwendig ist.Psychische Sicherheit und Geborgenheit
Besonders in Umbruchsituationen wünschen sich Menschen emotionale Stabilität.
→ Verlässliche Ansprechpartner, feste Bezugspersonen und offene Kommunikation schaffen Sicherheit.Religion und Spiritualität
Für viele Bewohner bleibt Spiritualität ein wichtiger Teil ihres Lebens.
→ Angebote ermöglichen, ohne sie aufzuzwingen. Raum für Rituale schaffen.Sexualität
Ein oft tabuisiertes Thema. Aber eines, das viele Menschen auch im Alter betrifft.
→ Respektvolle Haltung, klare Regeln und Offenheit sind hier entscheidend.
Was Pflegeheimbetreiber daraus lernen können
Die Studien zeigen klar: Es geht nicht darum, jeden Wunsch erfüllen zu können. Aber es geht darum, die Bedürfnisse zu sehen, zu verstehen und (wo möglich) ernsthaft darauf zu reagieren.
Pflegeheime, die das schaffen, profitieren mehrfach:
Höhere Bewohnerzufriedenheit
Weniger Konflikte mit Angehörigen
Geringere Fluktuation beim Personal
Stärkeres Image als Arbeitgeber und Anbieter
Warum das Thema genau jetzt wichtig ist
Mit dem demografischen Wandel und dem steigenden Fachkräftemangel ist der Druck auf Pflegeeinrichtungen enorm. Wer jetzt denkt, man müsse vor allem Kosten senken, liegt falsch.
Gerade in Zeiten des Wandels gilt:
Wer langfristig erfolgreich sein will, muss mehr bieten als Standardpflege.
Studien wie die von Schweighart et al. (2022) liefern dazu keine perfekten Lösungen – aber einen klaren Kompass.
Fazit: Pflege braucht Persönlichkeit. Und Führung, die das versteht
Der Alltag in Pflegeeinrichtungen wird oft von Dienstplänen, Abläufen und Regeln bestimmt. Aber dahinter stehen Menschen. Bewohner, Pflegekräfte, Angehörige – und Betreiber.
Wer sich als Betreiber wirklich mit den Wünschen der Bewohner auseinandersetzt, investiert nicht nur in Qualität, sondern in Zukunft.
Denn:
Pflege ist kein Produkt. Pflege ist Beziehung.
Quelle:
Schweighart, R. et al. (2022). Wishes and Needs of Nursing Home Residents: A Scoping Review. Healthcare, 10(5), 854. https://doi.org/10.3390/healthcare10050854